Der Kreistag hat im Dezember 2017 mit den Stimmen von CDU, SPD , BG und FDP, also mit sehr breiter Mehrheit, die Einstellung des Bücherbusses im Kreis Soest beschlossen. Die Presseberichterstattung zu diesem Thema war sehr mangelhaft. Über die intensive Diskussion im Kreistag wurde in den drei relevanten Zeitungen im Kreis nur in Kurzartikeln berichtet, zu den Redebeiträgen von CDU, SPD, BG und FDP gab es keinerlei Information (lediglich ein kurzer Halbsatz von mir stand im Patriot). Mehr Raum, wenn auch insgesamt wenig, wurde den ablehnenden Fraktionen der Linken und Grünen eingeräumt. Breite Möglichkeiten der Darstellung erhielten dagegen Leserbriefschreiber, die sich pro Bücherbus aussprachen, wenn sie sich auch nicht mit den Inhalten der Debatte auseinander setzten. Mehr als stümperhaft und fern jeder Sachkenntnis waren die Versuche von Journalisten in Kommentarversuchen. Zur Verdeutlichung unserer Positionierung habe ich deswegen das folgende Papier verfasst.
Historie
Der Bücherbus als Institution ist im Kreis Soest in den 60er Jahren eingerichtet worden. Hintergrund waren bildungssoziologische Untersuchungen, die drei große Gruppen von Bildungsbenachteiligten ausmachten: Arbeiterkinder, Mädchen, Kinder vom Land. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen sind die beiden zuletzt angeführten Gruppen in ihrer Benachteiligung aufgehoben worden, bei den Kindern vom Land z.B. durch die Auflösung von Zwergschulen, die Aufwertung der Kindergärten, eine höhere Mobilität, ein verändertes Bildungsbewusstsein, ev. auch durch den Bücherbus.
Bedeutung des Lesens
Die Lesefähigkeit ist eine Schlüsselkompetenz für Schul- und Berufserfolg, für gesellschaftliche Teilhabe, für die kognitive Entwicklung, für die Kompensation minderen Wortschatzes, für sozialen Aufstieg, für die Überwindung von Bildungsbarrieren, für die Aneignung von Kenntnissen, auch für eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Die Fähigkeit des Lesens ist somit von hochrangiger Bedeutung und bedarf intensiver politischer und gesellschaftlicher Unterstützung.
Erste Versuche zur Abschaffung des Bücherbusses
Die von mir beschriebene Bedeutung des Lesens für die Persönlichkeitsbildung wurde von einer CDU/FDP-Mehrheit im Kreistag zu Beginn des neuen Jahrhunderts offensichtlich nicht geteilt. Der Kreistag damals beschloss gegen SPD, Grüne und BG die ersatzlose Abschaffung des intakten Bücherbusses.. Daraufhin entwickelte sich eine Bürgerinitiative, die auch von uns unterstützt wurde. Sie erreichte die notwenigen Unterstützer für ein Bürgerbegehren. Durch unsere Diskussionen mit der CDU erreichten wir den Kompromiss, dass der Bus solange fahre, wie es technisch möglich sei. Das hat mehr als 10 Jahre funktioniert, mittlerweile ist der fast 30 Jahre alte Bus nur noch mit höchstem finanziellen Aufwand fahrtüchtig. Es stellt sich die Alternative Aufgabe oder Neubeschaffung für etwa 500 000 €, zu zahlen über die Kreisumlage. Einzuwerbende Landesmittel haben sich dabei als sehr unsicher dargestellt.
Aktuelle Lage der Einrichtung Bücherbus
Lt. Angaben der Verwaltung verfügt der Bücherbus über eine Kartei von etwa 3000 LeserInnen, wobei nicht erkennbar ist, wie viele davon sich passiv verhalten. Insgesamt spricht man von einem Prozent der Kreisbevölkerung. Die Unterhaltungskosten für den Bus betragen etwa 300 000 €/Jahr, vor allem Personalkosten. Unterstellt, alle Mitglieder der Benutzerkartei leihen sich im Durchschnitt pro Jahr 10 Bücher aus, so subventionieren wir die Ausleihe jeden Buches mit ca. 10 €, einem Mehrfachen des ökokomischen Wertes des in der Regel bereits mehrfach ausgeliehenen Buches. Die Nutzung ist sehr unterschiedlich bei den einzelnen Kommunen, Wickede verfügt über 38 Nutzer, Lippetal über 45, an der Spitze liegen Erwitte (426) und Welver (393).
Aktuelle gesellschaftliche Situation
Die zu Anfang skizzierte Chancenungleichheit von Mädchen und Kindern vom Land existiert nicht mehr. Große Sorgen macht dagegen die letzte IGLU-Studie, die feststellt, dass 20 % der 4.-Klässler über mangelhafte Lesekompetenz verfügen. Es besteht die große Gefahr, dass jemand, der mit 10 Jahren nicht lesen kann, das auch mit 20 und 40 Jahren nicht können wird- eine gesellschaftspolitische Zeitbombe. Diese Gruppierung konzentriert sich nicht bei einem Geschlecht oder der Landbevölkerung, sondern in den sog. bildungsfernen Schichten, die eher in größeren Kommunen angesiedelt sind. Die Studie weist auch nach, dass diese Tatsache sich nicht durch Migranten oder Flüchtlinge erklären lässt, die große Mehrzahl der Betroffenen sind hier geboren und aufgewachsen. Hier liegt meines Erachtens die große gesellschaftspolitische Aufgabe, die es anzugehen gilt, gerade aus sozialdemokratischer Sicht.
Aktuelle politische Situation im Kreis Soest
Der Bücherbus wird über die Kreisumlage finanziert und ist von daher den Bürgermeistern und auch vielen Kommunalpolitikern quer durch die Parteien ein Dorn im Auge. Erst kürzlich haben sich alle 14 Bürgermeister des Kreises gegen eine Neubeschaffung des Busses ausgesprochen. Bei der Analyse der politischen Lage im Kreistag zeigte sich eine breite Mehrheit für eine Aufgabe der Institution Bücherbus. Auch wenn wir uns der Abschaffung widersetzt hätten, wäre so beschlossen worden. Wir haben unsere Bereitschaft davon abhängig gemacht, dass wir die Leseförderung durch den Kreis Soest nicht ersatzlos aufgeben, sondern neu orientieren an der oben beschriebenen gesellschaftlichen Problematik. Das Problem ist heute nicht mehr, dass das Buch nur 10 oder 15 km entfernt ist und nicht erreicht werden kann. Heute gibt es eine Vielzahl von Zugangsmöglichkeiten zu Büchern, die Bildungsferne definiert sich aber nicht über Kilometer, sondern über Einstellungen. Wir haben die Forderung aufgestellt, 50 000 €/Jahr bis 2020 im Kreishaushalt einzustellen, um die Leseförderung neu zu orientieren und zu organisieren. Im Fokus sollen dabei vornehmlich Kinder stehen, die zu Hause nicht eine entsprechende Anleitung erfahren. Die anderen Fraktionen haben unsere Vorstellungen akzeptiert, so dass wir der Einstellung des Bücherbusses unter dieser Voraussetzung zugestimmt haben.
Zukünftige Arbeit
Mit unserer Forderung verknüpfen wir die Installierung eines Arbeitskreises, der im neuen Jahr seine Arbeit aufnehmen wird. Hier sollen zunächst Gedanken entwickelt werden in Zusammenarbeit mit der Bildungskonferenz des Kreises, des Jugendamtes und den Kitas, dem Schulamt und den Grundschulen, den örtlichen OGS, lokalen Büchereien etc. Die 2. Regionale, an der wir in Südwestfalen teilnehmen und die unter dem Schwerpunkt Digitalisierung steht, kann eventuell Impulse setzen, ebenso das IKEK-Projekt. Weitere Ideen gibt es bestimmt, eventuell könnte man auch professionelle Beratung einkaufen. Wir bitten alle politisch Tätigen vor Ort, auch ihre Ideen in den Diskussionsprozess einzubringen.
Fazit
Durch unsere Initiative wird mit der Abschaffung des Bücherbusses die Leseförderung im Kreis nicht aufgegeben, sondern neu akzentuiert. Der Bücherbus kann dazu im Vergleich zu seinen hohen Kosten wenig beitragen. Wir wollen den gesellschaftspolitischen Skandal, dass Bildungserfolg in Deutschland immer noch in hohem Maße vom Elternhaus abhängt, auch so bekämpfen. Nicht die geographische Distanz zu Bildungseinrichtungen und zum Buch ist heute das Problem, es sind die gesellschaftlichen Barrieren.
Wilfried Jäger
Fraktionsvorsitzender